Gastbeitrag Netzwerkpartner Dr. Andreas Völler:
Das Leben nach Corona – Auf den Hammer muss der Tanz folgen!

26. März 2020


Als wir vor 17 Jahren unser Unternehmen gegründet haben, konnten wir nicht ahnen, dass unser namensgebendes Leitmotiv einmal so zentral werden würde: Comites - die Begleiter, die Weggefährten.

Wir wollten zum Ausdruck bringen, dass wir keine kurzfristigen, wechselhaften und labilen Spot-Beziehungen wollen. Wir wollten eine Dienstleistung anbieten, auf deren Basis eine langfristige Beziehung, ein tiefes Vertrauen, eine stabile Verbindung entsteht. Und wann, wenn nicht in diesen Tagen bestätigt sich diese Haltung?

Natürlich prägt die aktuelle Corona-Herausforderung auch unser tägliches Handeln. Und gleichzeitig möchten wir heute ganz intensiv dafür werben, daran zu denken, dass das Leben nach Corona weiter geht.

Zunächst zwei kleine Beobachtungen und zwei erste Erkenntnisse:

1. In den vergangenen Tagen haben wahrscheinlich viele von uns das Video von Bill Gates aus dem Jahr 2015 gesehen. Die Genialität dieses Mannes, seine beeindruckende Bescheidenheit und Empathie – faszinierend. Ex post betrachtet: einfach brillant.

Jetzt könnte man sagen: Siehst du, die Politik ist wieder mal gescheitert; der hat schon vor fünf Jahren gewusst, was kommen wird. Aber Vorsicht: So überzeugend Bill Gates das alles darstellt, es gab ähnliche Videos zu völlig anderen Herausforderungen. Auf alles kann man sich nicht vorbereiten und es gab auch genügend Videos mit Gegenpositionen.

Als Entscheidungsträger wissen wir, dass wir eine Vielzahl von Informationen, Risikohinweisen, Gegenargumenten, Analysen mit sich widersprechenden Aussagen etc. verarbeiten müssen. Wir nennen das Ambiguität managen.
 
2. Der Autor dieser Zeilen musste als junger Medizinstudent in der Krankenhausambulanz einen Patienten behandeln, der mit schwersten Kopfverletzungen eingeliefert wurde. Ein Blumentopf von einem Fensterbrett aus großer Höhe war ihm beim Spazierengehen auf der Straße auf den Kopf gefallen. Gerade angehende Mediziner neigen zu einer gewissen Hypochondrie, sodass sich der Autor vorübergehend überlegt hat, nur noch mit Integralhelm auf die Straße zu gehen. 

Was wir damit sagen wollen: Es gibt kein Nullrisiko. Man kann sich auch nicht auf jedes Risiko vorbereiten. 

Sehr beeindruckt hat mich dieser Tage der Artikel „The hammer and the dance“ von Tomas Pueyo. Er beschreibt sehr ausführlich und eindrucksvoll, wie man mit Corona umgehen kann, für welche unterschiedlichen Strategien sich Länder entschieden haben – und mit welchen Folgen.

In Deutschland – ganz klar – haben wir uns inzwischen für den „Hammer“, also einschneidende Maßnahmen entschieden. Vielleicht sogar für den Vorschlaghammer. Vieles spricht in der Tat dafür. Und doch: Die Strategie beruht auf Annahmen.

Beispiel 1: Für den Hammer und gegen die Strategie der Herdenimmunisierung wird eingewandt, dass das Coronavirus rasch mutiert. Möglich. Belegt ist es bislang nicht. Die Nichtimmunität und Nichtinfektiösität einmal Corona-Infizierter ist genauso eine Annahme wie das Gegenteil. 

Beispiel 2: Man geht davon aus, mit dem „Hammer“ Zeit zu gewinnen. Zeit zum Nachdenken schadet nie. Und natürlich hilft Zeit, das Gesundheitssystem zu ertüchtigen. Aber glauben wir wirklich, dass das innerhalb von Wochen in signifikantem Ausmaß gelingen kann? Bei der hohen Infektiosität des Virus ist eine sehr hohe Infektionsrate der Gesamtbevölkerung wohl unausweichlich – die Bundeskanzlerin spricht von 70 Prozent.

Beispiel 3: Hinter der Hammerpolitik steht zudem die Annahme, dass rasch Medikamente und eine Impfung gefunden werden. Auch das ist sehr optimistisch.

Hoffen wir, dass die Annahmen richtig sind. Vergessen wir aber nicht, was wir mit der „Hammerpolitik“ in Kauf nehmen. 

Demokratische Grundrechte werden massiv beschnitten. Wer von uns hätte sich noch vor ein paar Monaten einen mehrwöchigen Hausarrest vorstellen können? Und für einige Regierungen dürfte die Versuchung groß sein, dauerhafte Einschnitte durchzusetzen.

Die betriebswirtschaftlichen Konsequenzen – ein Alptraum. Und volkswirtschaftlich: Ein Land wie Deutschland, das in den vergangenen sechs Jahren seine Staatsverschuldung durch Haushaltsüberschüsse abgebaut hat, nimmt nun das größte Budgetdefizit der gesamten Historie – einschließlich Lehman-Krise – in Kauf.

Und hier beginnen unsere Überlegungen zum Leben nach der Corona-Krise.

Gute Führung zeichnet sich dadurch aus, dass sie in Systemen denkt, nicht einseitig auf eine einzige Entwicklung fokussiert ist.

Das musste auch die Medizin lernen. Gab es vor 30 Jahren noch einen Streit zwischen Chirurgen und Gynäkologen, wer den Brustkrebs behandeln soll, so ist heute die Institution der Tumorkonferenz selbstverständlich – also das Zusammenwirken von Ärzten verschiedenster Fachrichtungen und anderen explizit nicht medizinischen Experten zum Wohle der Patienten.

Wir sollten die Krise vom Ende her denken. Und dabei auch Alternativen anhören und abwägen. Wie lange wollen wir diese rechtlichen Beschränkungen unserer Freiheit akzeptieren? Wie lange können wir uns die gegenwärtige Situation wirtschaftlich leisten?

Je stärker eine Volkswirtschaft ist, desto massiver ist der Beitrag, den sie zur Bekämpfung des Virus leisten kann. Mehr Krankenhausbetten pro Bürger, mehr Beatmungsgeräte, mehr Intensiveinrichtungen und so weiter. Das mag brutal klingen, aber richtige Entscheidungen berücksichtigen das Gesamtbild.

Was heißt das nun?

Der gegenwärtige Hammer musste wohl sein und auch in dieser Konsequenz. Nach ein paar Wochen muss damit aber auch Schluss sein. Und der „Dance“ muss einsetzen. Eine Phase der Normalisierung mit dem einen oder anderen Ausschlag nach oben oder unten. Sinnvolle Maßnahmen müssen diese Zeit flankieren. 

Wenn wir wissen, dass alte Menschen, Chemotherapierte und anderweitig schwer Erkrankte besonders von schweren Verläufen der Corona-Infektion oder durch ein hohes Letalitätsrisiko betroffen sind, warum dann keine freiwilligen, vom Staat voll unterstützten Schutzmaßnahmen für diese Gruppen? Und ein zunehmend normalisiertes Leben für den übergroßen Rest. Warum alle bestrafen, wenn man die besonders Gefährdeten besonders schützen kann?

Genau dieser Ansatz sollte zukünftig verfolgt werden. Zielgerichteter, freiwilliger Schutz für Risikogruppen statt globale Blockade mit dem Risiko der politischen und wirtschaftlichen Systemzerstörung.

Wir haben uns in den vergangenen Jahren intensiv mit der Führung von morgen beschäftigt. Uns war immer klar, dass Resilienz dabei eine entscheidende Rolle spielt. Der Glaube an ein Leben nach Corona ist gegenwärtig die Triebfeder für viele der resilienten Führungskräfte.

Wir möchten mit unseren Gedanken dazu anregen, die „Nach-Corona-Debatte“ schon heute und sehr viel offensiver und intensiver zu führen.

Nach ein paar Jahren als Arzt wurde der Autor dieser Zeilen einmal mit einem altbekannten „Witz“ konfrontiert: Exzellente Operation, hervorragend gelungen, Patient leider verstorben.

Die Qualität dieses Witzes hält sich in Sachen Humor in Grenzen. Aber: Wir müssen aufpassen, dass wir bei den langfristigen Strategien im Umgang mit der Corona-Virusinfektion nicht aus diesem schlechten Kalauer eine noch schlechtere Realität machen.

Dr. Andreas Föller